Von Astrologen, Würfelspielern, Wissenschaftlern und Autoren

Alles Zufall?

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Wie die Würfel fallen, dürfte kaum vorherbestimmt sein. Oder doch?

"Ein gutes neues Jahr! Mögen alle deine Vorsätze in Erfüllung gehen!" Der Wunsch ist gut gemeint. Aber er geht ins Leere. Denn es kommt, wie es kommen muss und wie es seit Anbeginn der Welt vorherbestimmt ist. Wirklich? Oder lenken wir selbst unsere Geschicke? In Zusammenspiel mit dem Zufall. Mit Ereignissen also, für die es keine kausale Erklärung gibt.

These: Es gibt keinen Zufall, alles ist vorherbestimmt

Dass alles vorherbestimmt sei – für diese These machen sich verschiedenste Lager stark. Wie etwa die kölsche Straßenphilosophie mit ihrem "Et kütt wie et kütt", die sich darin zu fügen scheint, dass es keinen Platz für den Zufall gebe. Oder Doris Day mit ihrem deterministischen "Que Sera, Sera". Der Philosoph Arthur Schopenhauer hat diesen Gedanken besonders elegant formuliert: "Auch das Zufälligste ist nur ein auf entfernterem Wege herangekommenes Notwendiges." Sind wir also wie die Kinder, die stolz im Karussell-Auto sitzen und beim Betätigen des Lenkrades nur die Illusion haben, dass sie den Wagen durch die Kurve lenken? Und wäre das "Gelenktwerden" nicht sogar in gewisser Weise beruhigend? Sind die Weichen des Lebens ohnehin gestellt, so brauche ich mir doch auch keinen Kopf zu machen. Ich kann ohnehin nichts ändern.

Astrologie-Anhänger müssten die Idee der Vorherbestimmung unterstützen. Denn wer dem seltsamen Glauben anhängt, dass die Konstellation der Sterne sein Schicksal anzeigt, wird auch daran glauben, dass sein Lebensweg unabänderlich ist. So wie bei einem Roman: Alles in der Geschichte, die da zwischen zwei Buchdeckeln vor uns auf dem Tisch liegt, steht fest. Gewiss, es gibt viele Wendungen, die Protagonisten haben Glück und Pech, werden krank, sterben gar, aber all das ist festgelegt. Vom Autor.

Für diejenigen, die den Autor dieses Lebensbuches Gott nennen, gibt es ein gutes Argument: Wenn Gott allwissend ist – und das müsste ihm doch zuzutrauen sein – dann weiß er alles, was jemals, auch in der allerfernsten Zukunft, passieren wird. Er kennt mein Todesdatum und das Todesdatum meiner Urenkel. Und wenn dieser Gott eben diese Kenntnis hat, so heißt das doch, dass alle Ereignisse schon jetzt feststehen. Und zwar so feststehen, wie der oder die Allmächtige sie geplant hat, denn er oder sie wird ja wohl nichts dem Zufall überlassen. Oder, wie Albert Einstein es mal gesagt hat: "Gott würfelt nicht." (Genau genommen sprach Einstein von "dem Alten", als er seine Skepsis gegenüber der Quantenmechanik zum Ausdruck brachte mit dem Satz: "Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns nicht näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt.")

Gegenthese: Gegensteuern ist möglich

Doch halt: Welchen Sinn sollte es dann haben, zu einem Gott zu beten, wenn das Schicksal ohnehin feststeht und nicht mehr beeinflusst werden kann? Und was wäre das für ein Gott, der auch das Böse und Niederträchtigste in dieser Welt so geplant hätte? Religionen wissen, warum ein solcher Determinismus für sie nicht in Frage kommt. Ihr Gott hat die Macht, mit kleinen und großen Wundern in den Lauf der Dinge einzugreifen. Darum, so die Konsequenz, lohnt sich auch das Gebet. Auch wenn die Bitte zu Gott noch so profan sei: Bitte lass die Parklücke frei sein, bitte lass den Ball ins Tor gehen. Eine freilich seltsame Hoffnung, wenn der Angebetete nicht mal in Auschwitz oder bei schwersten Naturkatastrophen eingreift.

Wenn schon nicht das erflehte Eingreifen Gottes hilft, dann kann doch wohl unser eigenes Tun den Lauf der Welt verändern. Genauer: das von unserem freien Willen gesteuerte Tun. Aber haben wir ihn überhaupt, diesen freien Willen? Eben dies wird von einigen Hirnforschern bezweifelt. So hat der amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet bereits 1979 die Hirnströme von Versuchspersonen gemessen, die zu einem selbst gewähltem Zeitpunkt einen Finger bewegen sollten. Ergebnis des Experiments: Das Bewusstsein, den Finger bewegen zu wollen, setzte bei den Probanden fast eine halbe Sekunde nach dem Moment ein, in dem das Gehirn bereits mit der Vorbereitung zur Ausführung der Bewegung begonnen hatte. Das heißt: Die Entscheidung zu handeln findet unbewusst statt. Das Bewusstsein segnet sie erst nachträglich ab. Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun. Schon der römische Stoiker Seneca scheint das gewusst zu haben. Seine 2000 Jahre alte These: "Den Willigen führt das Schicksal, den Widerwilligen schleift es mit."

Nimmt man die Ergebnisse der Hirnforschung ernst, so hat das weitreichende Folgen – vor allem für das Recht des Staates zu strafen: Hat der Einzelne gar keine Wahl, sich für das Gute oder das Böse zu entscheiden, so darf man ihn doch auch nicht zur Verantwortung ziehen. Was das praktisch hieße, lässt sich leicht ausmalen. Der Angeklagte könnte argumentieren: "Ich kann doch nichts dafür, meine Mordtat war von Anbeginn der Zeit vorherbestimmt." Doch auch der Richter hätte darauf eine passende Antwort: "Das mag sein, dann ist aber auch vorherbestimmt, dass ich Sie nun lebenslang hinter Gitter schicke." (Mehr zu der Frage, ob es einen freien Willen gibt, lesen Sie hier.)

Der Zufall in der Wissenschaft

Jenseits von Astrologie, Literatur und Religion ist der Zufall sehr wohl anerkannt. Die Wissenschaft weiß von ihm zu erzählen. Die Evolutionsbiologie zeigt, wie wichtig der Zufall ist: Zufällige Mutationen bringen neue Zellen und Lebewesen hervor. Was auf der Ebene der Gene geschieht, lässt sich evolutionär auch im Großen weiterdenken: Jede und jeder von uns verdankt seine Existenz einer gigantischen Kette an Zufällen. Die Evolution ist eine ununterbrochene Kette, die über Milliarden Jahre hinweg geschmiedet wurde. Jedes einzelne Lebewesen, das jemals gelebt hat, ist ein Glied dieser Kette. Wenn auch nur ein Glied dieser Kette zerbrochen wäre – wenn also ein Vorfahr nicht überlebt oder sich nicht fortgepflanzt hätte – gäbe es uns nicht. Sie und ich sind lebende Beweise dafür, dass unsere Vorfahren erfolgreich waren. Diese haben Hungersnöte, Krankheiten, Raubtierangriffe, Naturkatastrophen und zahllose Gefahren aufgrund glückliche Zufälle überstanden und konnten sich daher fortpflanzen. Nur deshalb sind wir hier.

Auch die Quantenphysiker, die untersuchen, was auf der Ebene kleinster Teilchen geschieht, sprechen von nicht vorhersehbaren – eben zufälligen – Quantensprüngen. Nach ihren Erkenntnissen funktioniert die Welt gerade nicht wie ein Uhrwerk. Zwar ist das Geschehen im Großen berechenbar. So können Astronomen genau voraussagen, an welchem Tag und zu welcher Minute es die nächste Sonnenfinsternis geben wird. Oder wann sich ein Komet der Erde nähert. Allerdings lassen sich Ereignisse auf der Ebene kleinster Teilchen nicht in dieser Weise vorausberechnen. Seit Werner Heisenberg und Max Planck weiß man: Was auf dieser kleinsten Ebene passiert, das passiert in Quantensprüngen. Sprunghafte Veränderung, Spontaneität als Naturtatsache heißt aber auch: keine Berechenbarkeit. Die Konsequenz: Wenn der Zufall auf der kleinsten Ebene regiert, so wirkt sich das doch auch auf das Größere aus. Wenn schon die Prozesse im Bereich der Elementarteilchen nicht determiniert sind, dann muss das doch Einfluss auf die größeren Systeme haben – auf die Lebewesen, auf ihre Handlungen, auf die Gesellschaft.

Der Zufall als Quell des Optimismus

Wo Zufall ist, da ist die Zukunft unbestimmt, da kann sie beeinflusst werden. Der Physiker Hans Peter Dürr sagte es einmal so: "Die Quantenphysik sagt uns, dass die Zukunft offen ist. Sie ist voller Möglichkeiten. Darin steckt ungeheuer viel Ermutigung. Wir leben in einer noch viel größeren Welt, als wir annehmen. Und wir können diese Welt gestalten!"

Im täglichen Leben betrachten wir etwas als Zufall und sehen ein Ereignis als etwas Besonderes an, eben weil es äußerst selten oder unwahrscheinlich ist. Aber wirklich besonders wäre es doch erst, wenn ein unwahrscheinliches Ereignis niemals einträte. Max Frisch hat das in seinem Roman "Homo Faber" anschaulich erklärt: "Das Wahrscheinliche und das Unwahrscheinliche unterscheiden sich nicht dem Wesen nach, sondern nur der Häufigkeit nach. Wenn das Unwahrscheinliche eintritt, ist nichts Höheres dabei, keinerlei Wunder, wie es der Laie so gerne haben möchte. Indem wir vom Wahrscheinlichen sprechen, ist das Unwahrscheinliche immer schon inbegriffen, und zwar als Grenzfall des Möglichen, und wenn es einmal eintritt, das Unwahrscheinliche, so besteht für Unsereinen keinerlei Grund zur Verwunderung, zur Erschütterung, zur Mystifikation."

Menschen, die gern alles bis ins letzte Detail planen, werden freilich vom Zufall unangenehm gestört. Jede unerwartete Wendung durchkreuzt die eigene Strategie. "Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen", bringt es Friedrich Dürrenmatt auf den Punkt. Dabei sind es doch oft erst die zu Problemen führenden Zufälle, die neue Perspektiven eröffnen können. So gesehen erscheint es eher ratsam, sich den Zufall zum Freund machen.

Und wie schrecklich wäre am Ende eine Gewissheit, ein festgelegter Lebensplan, auf den wir bis zum Tod felsenfest bauen könnten, nein: müssten. Gerade die Ungewissheit, die mögliche Wendung des Schicksals im Kleinen wie im Großen, macht doch das Leben letztlich aus. Dass man etwa in einer Kneipe zufällig einem Menschen begegnet, den man sonst nie kennengelernt hätte. Nur weil beide zur gleichen Zeit beschlossen haben, an diesem Tag nicht zu Hause zu bleiben, und so dem Zufall durch eigenes Zutun auf die Sprünge halfen. Jedes solcher Zusammentreffen führt zu einer endlosen Kette weiterer Zufälle, das können wir alle im Rückblick auf unser Leben wunderbar nachvollziehen.

"Der Zufall ist mächtig, und plötzlich bekommt man ein Schicksal, das nie für einen bestimmt war", schreibt Daniel Kehlmann in seinem Roman "Fatum". Fatum ist das lateinische Wort für Schicksal. Gewiss, Schicksal klingt schon wieder ein bisschen wie Vorherbestimmung. Aber eben nicht im Sinne von unabwendbar. Es ist wie immer im Leben eine Kombination aus Zufall und der Reaktion darauf, die den Unterschied macht: dem Eingehen auf diesen Zufall, die Bereitschaft, die Gelegenheit zu nutzen oder aber verstreichen zu lassen. Bob Dylan brachte das in einem nachdenklichen Stück so auf den Punkt: "Watch out for a simple twist of fate" – nimm auch die einfachste Wendung des Schicksals wahr. Und dann mach was daraus, ließe sich ergänzen.„

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